24.5.2019 - 17.11.2019



 
Ödön von Horváth hat sich als „Chronist seiner Zeit“ gesehen und an einer steten „Demaskierung des Bewusstseins“ mittels Literatur gearbeitet.

Mit seiner Durchdringung der kleinbürgerlichen Sprache, pointiert gefasst im Begriff des „Bildungsjargons“, seiner konzisen Sprachkritik und seinen „irren Sätzen“ (Peter Handke) wirkte er stilprägend für die deutschsprachige Literatur nach 1945. AutorInnen wie Peter Handke, Peter Turrini, Wolfgang Bauer, Franz Xaver Kroetz, Werner Schwab, Elfriede Jelinek, Felix Mitterer, Dea Loher und René Pollesch stehen deutlich in der dramatischen Nachfolge Horváths.





Ödön von Horváth gehört heute zu den meistgespielten Dramatikern auf deutschsprachigen Bühnen. Stücke wie Italienische Nacht, Geschichten aus dem Wiener Wald (beide 1931) und Kasimir und Karoline (1932) wurden bereits zu Lebzeiten des Autors als Erneuerung des Volksstücks gefeiert.



Dabei hat er immer wieder auch versucht, die gesellschaftlichen Strukturen „vom Standpunkt der Frau aus“ zu betrachten und dabei seine berühmten Fräulein-Figuren wie Marianne, Karoline und Elisabeth geschaffen. Mit Stücken wie Sladek, der schwarze Reichswehrmann (1929) und Italienische Nacht (1931) positionierte er sich deutlich gegenüber dem aufkommenden Nationalsozialismus und der Bedrohung der noch jungen Weimarer Republik. Nachdem er 1931 für Geschichten aus dem Wiener Wald den renommierten Kleist-Preis erhalten hatte, wurde er selbst Ziel nationalsozialistischer Agitation. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland bedeutete für seine noch junge, vielversprechende Karriere als Dramatiker einen jähen Abbruch. Seine Stücke wurden im reichsdeutschen Gebiet nicht mehr gespielt, bereits geplante Uraufführungen abgesagt, sodass er sich dazu gezwungen sah, sich im reichsdeutschen Filmbetrieb als Drehbuchschreiber zu verdingen. Die dabei gemachten Erfahrungen führten zu seiner radikalen Abkehr vom Deutschen Reich unter den Nationalsozialisten.

Mit Stücken wie Mit dem Kopf durch die Wand (1935), Figaro läßt sich scheiden und Don Juan kommt aus dem Krieg (beide 1936) positionierte er sich als Schriftsteller neu, seine Romane Jugend ohne Gott (1937) und Ein Kind unserer Zeit (1938) etablierten ihn als prononciert antifaschistischen Autor. Insbesondere Jugend ohne Gott zählt bis heute zum Kanon deutschsprachiger Literatur und ist ein Klassiker der Schullektüre.

Die Ausstellung verläuft entlang von drei zentralen Stücken, denen jeweils ein Bereich und damit zusammengehend ein übergreifendes Thema gewidmet ist: Ökonomie, Erotik und Politik.




Darüber hinaus werden Einblicke in die Entstehung und Rezeption der Stücke gegeben.

Im Entrée sowie im Treppenhaus werden essentielle Aspekte aus Horváths Biografie und Werk wie der Tod, die „Stille“, die Gebrauchsanweisung und die Arbeitsweise des Autors präsentiert.

Die erste auf ein Drama fokussierte Station widmet sich dem Topos Politik in Werk und Biografie Ödön von Horváths, ausgehend von Italienische Nacht. Hier befindet man sich in einem Wirtshaus-Saal nach der „Saalschlacht“ zwischen unterschiedlichen politischen Gruppierungen, wie sie Horváth in Italienische Nacht vorausweisend dargestellt und in Murnau selbst erlebt hat. Dabei wird nicht nur das politische Klima der Weimarer Republik rekonstruiert, sondern es werden auch Horváths eigene Verstrickungen mit dem NS-Regime und seine Läuterung mit den späten, pazifistischen und antifaschistischen Romanen Jugend ohne Gott (1937) und Ein Kind unserer Zeit (1938) beleuchtet.

Der obere große Saal präsentiert das stilisierte Ambiente des Oktoberfests zu Kasimir und Karoline und der im Werk Horváths allgegenwärtigen Erotik. Wie auf einem Rummelplatz gelangt man zu Lokalitäten wie dem Venustempel, dem Autodrom und dem Panorama. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Verflechtungen der Erotik mit der Ökonomie. Der Raum mündet in eine Reflexion auf die unterschiedlichsten Aspekte des Geschlechterverhältnisses bei Horváth. Hier werden Frauen- und Männerbilder, aber auch zeitgenössische Beziehungsformen präsentiert.





Abschließend gelangt man zu den Geschichten aus dem Wiener Wald, der um den Topos der Ökonomie gruppiert ist. In „Oskars gediegener Fleischhauerei“ werden verschiedene Facetten der „stillen Strasse“ exponiert, wie der Mittelstand und seine ökonomische und politische Verfasstheit, die Frau als Ware und analog dazu der Mann als Fleischhauer sowie Horváths Umgang mit dem Wien-Klischee.





In der aufwendig inszenierten Ausstellung werden anhand von verschiedensten Objekten, Dokumenten, Audio- und Videobeispielen von 40 leihgebenden Institutionen und Privatpersonen die politische Substanz und brisante Aktualität von Horváths Dramatik deutlich.

Die Ausstellung wurde von Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar kuratiert und von Peter Karlhuber gestaltet.


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NICOLE STREITLER-KASTBERGER ist Literaturwissenschaftlerin, Literaturkritikerin und Autorin; seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Wiener Ausgabe sämtlicher Werke Ödön von Horváths.

MARTIN VEJVAR ist seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Wiener Ausgabe sämtlicher Werke Ödön von Horváths; Herausgeber mehrerer Teilbände.

PETER KARLHUBER ist Bühnenbildner und Ausstellungsgestalter. Für das Deutsche Theatermuseum gestaltete er bereits die Ausstellung „Frank Wedekind. Theater – Eros – Provokation“ 2014/15. Im Literaturhaus München machte 2015 „Wir brauchen einen ganz anderen Mut! Stefan Zweig – Abschied von Europa“ Station.


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Publikation zur Ausstellung:

„Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur.“ - Ödön von Horváth. Erotik, Ökonomie und Politik

Herausgegeben von Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar, erschienen 2018 im Verlag Jung und Jung, Salzburg
€ 35,00

Die Beiträge des reich bebilderten Bandes spannen einen thematischen Bogen von der Theaterästhetik und Aufführungspraxis über Fragen der Geschlechterdifferenz zur sozioökonomischen, historischen und politischen Verortung von Horváths Texten. Ergänzt werden die wissenschaftlichen Beiträge durch Essays und literarische Texte von Wolfgang Müller-Funk, Gerhild Steinbuch, Fiston Mwanza Mujila, Ferdinand Schmalz, Peter Turrini und Ödön von Horváth.
 

Die Ausstellung hatte ihre Premiere im Theatermuseum Wien am 15.3.2018.

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Wir freuen uns über die Zusammenarbeit mit den folgenden Institutionen:






 
 



https://www.mpz-bayern.de/ 



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An folgenden Feiertagen ist geschlossen:  

Pfingstsonntag, 9.6.
Allerheiligen, 1.11.

Zur Langen Nacht der Museen am Samstag, den 19.10.2019, präsentieren wir ein spezielles Programm
 

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Bildcredits:    

Ausstellungsplakat, (c) Gerhard Spring

Bühnenbildentwurf zu Kasimir und Karoline von Caspar Neher zur UA 1932 © KHM-Museumsverband

Ausstellungsdetail, Gestaltung Peter Karlhuber