Deutsches Theatermuseum
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Story

„Regole generali di prospetiva / ALLGEMEINE REGELN DER PERSPEKTIVE“

Die um 1620 datierte Handschrift mit dem Titel „Regole generali di prospetiva“ („Allgemeine Regeln der Perspektive“) wurde von von Giovanni Battista Aleotti, detto l‘Argenta (1546–1636), einem bedeutenden Ingenieur sowie Theater- und Bühnenarchitekten, niedergeschrieben. Aleotti verfasste dieses Werk in fortgeschrittenem Alter und hinterließ damit eine Art Anleitung zum perspektivischen Zeichnen – insbesondere für die Gestaltung von Bühnenbildern.

Er hebt die grundlegende Bedeutung der Perspektive für sämtliche Kunstformen hervor und stützt sich dabei auf die Schriften anderer Gelehrter, aus deren Werken er auch Abbildungen übernimmt.

Aleotti beschreibt anschaulich, wie sich mit hintereinander gestaffelt angeordneten Kulissen, welche perspektivisch bemalt sind, ein überzeugender Eindruck von Raumtiefe erzeugen lässt. Diese auf fahrbaren Wagen montierten Kulissen konnten schnell und mehrfach ausgetauscht werden, wodurch verschiedene Räume auf der Bühne vorstellbar wurden.

In seinem bislang unveröffentlichten, handschriftlichen Traktat unterstreicht Giovanni Battista Aleotti die grundlegende Bedeutung der perspektivischen Zeichnung für jede künstlerische Gestaltung. Er beruft sich dabei auf klassische Autoritäten wie Euklid, Heliodoros, Vitello und Alhazen, deren Erkenntnisse zu Geometrie, Perspektive und Optik er aufgreift. Besonderes Augenmerk legt Aleotti auf die Verbindung von Perspektive und Bühnenbild. Dabei bezieht er sich auf Vitruvs Begriff der Scenographia (Buch I, Kapitel II der Zehn Bücher über Architektur) und übernimmt Illustrationen aus theoretischen Werken, die sich in seiner Bibliothek fanden – darunter Piero della Francescas „De prospectiva pingendi“ und Vignolas „Le due regole della prospettiva“ (1583). Auch ohne Sebastiano Serlio namentlich zu nennen, reflektiert Aleotti die zeitgenössische Begriffslage und konzentriert sich schließlich auf die optischen Vorgänge des Sehens – insbesondere darauf, wie Dinge dem Auge erscheinen und welche Wirkung sie auf den Betrachter entfalten.

Aleotti beschreibt in seinem Traktat Möglichkeiten der Perspektive, mit denen sich „die Konzepte der Seele abbilden oder erscheinen lassen“ – ebenso wie solche, die gezielt den Sehsinn täuschen. Seine unvollständig überlieferte Schrift zielt auf eine Systematisierung perspektivischer Täuschungseffekte ab, etwa wenn übereinanderliegende Objekte gleicher Höhe dem Auge ungleich erscheinen. Auch wenn das Werk Fragment geblieben ist, formuliert Aleotti bereits den Anspruch auf eine zeichnerische Virtuosität, die auf der Bühne überzeugende Raumbilder schafft – ohne reale Architektur abbilden zu müssen. Damit antizipiert er jene barocken Bühnenräume, die im 18. Jahrhundert etwa durch Giuseppe Galli-Bibiena und dessen Winkelperspektive zur Blüte geführt wurden.

Aleotti betont die Bedeutung der Kenntnis und meisterhaften Anwendung perspektivischer Effekte in der Zeichnung – sie sind für ihn der Schlüssel zur szenografischen Meisterschaft. Durch die räumlich versetzte Anordnung perspektivischer Darstellungen entsteht eine eindrucksvolle Raumillusion, die den realen Bühnenraum optisch erweitert und komplexer erscheinen lässt. Besonders wirkungsvoll zeigt sich dies im Einsatz gestaffelter, fahrbarer Kulissen: Sie ermöglichen es, gemalte Tiefenräume rasch zu wechseln und so immer neue räumliche Eindrücke auf der Bühne zu erzeugen.

Giovanni Battista Aleotti

Der italienische Architekt und Ingenieur wird 1546 in Argenta im Nordosten Italiens geboren.  Besonders berühmt wird er zu seiner Zeit durch seine theoretischen Schriften über Architektur und seine Arbeit als Bühnen- und Theaterarchitekt. In den Jahren 1617 und 1618 wird das von ihm entworfene Teatro Farnese in Parma fertiggestellt, das bis heute existiert. Überdies entwarf er für viele Aufführungen des Herzogs von Parma die Bühnendekorationen. 

1617 beauftragte Ranuccio I., Herzog von Parma und Piacenza den Baumeister Giovanni Battista Aleotti den Waffensaal im Palazzo della Pilotta zum Theater umzubauen. Neben der enormen Größe des u-förmigen Saals und den aufsteigenden Sitzreihen im Parkett war es vor allem das neue, hier erstmals nachweislich eingesetzte von Aleotti entwickelte Kulissensystem auf Gleitschienen, welches das Teatro Farnese zum Vorbild des italienischen Barocktheaters werden ließ. Aleotti schuf hier erstmals auch ein festes Proszenium, welches das vorliegende, nach einer Vorlage von Paolo Fontanesi von Giuseppe Pini gestochene Blatt zeigt. 

Proscenio del “Gran Teatro Ducale” (Teatro Farnese) / Proszeniumsansicht des Teatro Farnese in Parma, 1.H. 18. Jh.

Räume schaffen, wo keine sind?

Zeitgenössische Erkenntnisse aus den Wissenschaften und Künsten nahmen Einfluss auf die Entwicklung der Möglichkeitsräume im Bühnenbild und damit auf den Theaterprozess. Bühnenarchitekten wie Giovanni Battista Aleotti übernahmen Erkenntnisse aus anderen Wissenschaften und den bildenden Künstenwandten sie bei der Gestaltung von Bühnenbildern an. Dieser intensive Wissenstransfer im Italien des 16. bis 18. Jahrhunderts ermöglichte  die Weiterentwicklung der Kulissenbühne und der perspektivischen Bühnenmalerei: Nun konnten optische Illusionen und damit Räume geschaffen werden, wo keine waren. Mehrere Jahrhunderte lang wurde die Bühnenbildpraxis von diesen Erkenntnissen geprägt. Dabei etablierten sich wiederkehrende Örtlichkeiten (Platz, Kerker, Saal, Hof etc.) als Raumtypen, die in ihrer perspektivischen Raffinesse immer weiter perfektioniert werden. Abgelöst wurden diese Kulissen- und Soffittendekorationbilder des Barock erst im 19. Jahrhundert durch das System einer Hänger-Dekoration: An Seilzügen aufgehängte bemalte Leinwände, sog. Hängstücke senkten sich aus dem Schnürboden auf die Bühne herab. Diese waren durch gebaute und z.T. begehbare Versatzstücke ergänzt. Im Mittelpunkt der Bühnenmalerei des Historismus steht nun eine Dekorationsmalerei, die versucht, die Natur täuschend echt zu imitieren und Spielsituationen mit Hilfe von Mobiliar und Requisiten möglichst historisch detailgetreu auszustatten. Die vormals typisierten Bühnenbilder, wurden nun zunehmend - den neuen dramatischen Schauplätzen folgend -individualisiert. 

Die Perspektive bei „Servio Tullio“

Einen anschaulichen Einblick in den Aufbau einer Kulissenbühne bietet der hier gezeigte Film. Er basiert auf historischen Bild- und Textquellen (u.a. Libretto, Kupferstiche, zeitgenössische Beschreibungen) zur Aufführung der Festoper „Servio Tullio“, welcheam 21. Januar 1686 im Münchner Salvatortheater aufgeführt wurde. 


Der Film wurde 2003 nach einem inhaltlichen Konzept des Deutschen Theatermuseums als Animation umgesetzt. Er rekonstruiert sowohl den Zuschauerraum als auch die Bühne des Opernhauses am Salvatorplatz und veranschaulicht exemplarisch die barocke Bühnen- und Verwandlungstechnik, wie sie gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit Kulissen-, Soffitten- und Maschinenbühne zum Einsatz kam.

Die eigens dafür aus Italien angeforderten Theaterarchitekten und Bühnenbildner Gasparo und Domenico Mauro gestalteten anlässlich der Aufführung dieser Festoper das Proszenium des Salvatortheaters, seine bühnentechnische Einrichtung und die zugehörenden Bühnendekorationen neu. Nach ihren Entwürfen fertigte dann Michael Wening (1645–1718) insgesamt elf Kupferstiche, die, jeweils aus zwei Druckplatten zusammengesetzt, das Libretto der Oper eingebunden wurden. Auf ihnen ist jeweils das neue Proszenium die wechselnden Bühnendekorationen zu sehen. Sie zeigen die in barocken Bühnendekorationen immer wiederkehrenden, typisierten Orte wie den Saal, Garten, Wolkenlandschaft, Hof, ein Zimmer oder einen Platz, die jeweils in zentralperspektivischer Sicht, ganz achsialsymmetrisch ausgeführt sind.

Im Film sind diese Bühnenbilder – zum Teil mit animierten Effekten wie Wolkenmaschinen oder Bodenluken – ganz entsprechend der Opernhandlung in folgender Reihenfolge verarbeitet: Il Cielo, Campi Elisi, Stanze di Tanaquil con letto in arcova illuminate con lampane di cristallo, Appartamenti di Silvia e Tullia, Guardarobba, Anticamere della Regina, Regio Cortile, Sala Regia, Regio Giardino und Circo Massimo.

Die musikalische Untermalung stammt aus einer Aufnahme von Agostino Steffanis Oper „Niobe Regina di Tebe“, die 1688 in München zur Aufführung kam (Einspielung: Udine 1998). Eine passende Aufnahme zu Servio Tullio war zum Zeitpunkt der Filmproduktion nicht verfügbar.