
Story
"Romeo und Julia", ein Drama und seine (Theater)Geschichte
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Die tragische Liebesgeschichte von "Romeo und Julia" ist so bekannt wie kaum eine andere und wurde seit ihrer Uraufführung ca. 1596 immer wieder neu auf die Bühne gebracht oder im Film adaptiert.
Die Geschichte von Shakespeares berühmten Werks, das über die Jahrhunderte hinweg immer wieder Neuinterpretationen und Wandel erfahren hat, ist abwechslungsreich und zeigt zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Sehgewohnheiten und Theaterpraktiken. Warum wird "Romeo und Julia" heute immer noch so oft gespielt? Welche Gemeinsamkeiten kennzeichnen die Aufführungsgeschichte? Theater und Gesellschaft bedingen sich gegenseitig und haben einen Einfluss auf die Darstellung von "Romeo und Julia".
Zusammenfassung "Romeo und Julia"
„Romeo und Julia“ ist eine Tragödie von William Shakespeare über die Liebe und Leidenschaft zwischen zwei jungen Menschen aus verfeindeten Familien, den Montagues und den Capulets. Handlungsort ist die Stadt Verona in Italien. Trotz Konflikt zwischen ihren Familien heiraten Romeo und Julia heimlich. Aber durch eine Reihe von Missverständnissen, unglücklichen Ereignissen und sogar blutigen Auseinandersetzungen führen ihre Versuche, zusammen zu sein, zu ihrem tragischen Selbstmord. Paradoxerweise versöhnt ihr Tod schließlich die zwei trauernden Familien, die darüber ihre tödliche Fehde beenden können.
Ein Balkon für die Ewigkeit – Die Macht einer Szene
Romeo und Julia begegnen sich auf einem Fest im Hause der Capulets. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch kaum entflammt, steht ihre Beziehung schon unter einem dunklen Stern: Ihre Familien sind erbitterte Feinde.
In der berühmten Balkonszene (zweiter Akt, zweite Szene) schleicht sich Romeo heimlich in den Garten der Capulets – getrieben von der Sehnsucht, Julia wiederzusehen. Sie erscheint auf ihrem Balkon, er blickt zu ihr hinauf. Die räumliche Trennung zwischen den beiden wird zum Sinnbild all der Hindernisse, die sich ihrer Liebe in den Weg stellen. Gleichzeitig umgibt die Szene eine nervöse Spannung: Jeder Moment birgt die Gefahr, entdeckt zu werden.
Gerade weil ihre Verbindung verboten ist, sprechen Romeo und Julia umso offener, mutiger, inniger über ihre Gefühle. Ihre Worte berühren wegen der Mischung aus ihrer jugendlichen Leidenschaft und ihrem Bewusstsein des Risikos, das sie aber in Kauf nehmen.
Zweiter Akt, Zweite Szene – Capulets Garten
JULIA
Wie kamst du her? O sag mir, und warum?
Die Gartenmaur ist hoch, schwer zu erklimmen;
Die Stätt ist Tod – bedenk nur, wer du bist –,
Wenn einer meiner Vettern dich hier findet.
(Shakespeare's Dramatische Werke. Übersetzt von August Wilhelm von Schlegel, ergänzt und erläutert von Ludwig Tieck. Neunter Theil. Berlin, Reimer Verlag, 1833, Zweite Szene, Capulet's Garten, S. 213.)
ROMEO
Der Liebe leichte Schwingen trugen mich,
Kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren;

Diese Szene steht bis heute als Symbol für die romantische Liebe schlechthin: der Blick hinauf zur geliebten Person, getrennt durch Stein und Abstand – vereint durch das Wort.
Ein Zeichen für die Wirkmacht der Balkonszene ist auch der nachträglich angebaute Balkon an der sogenannten Casa di Giulietta in Verona – heute eine Touristenattraktion, die jedes Jahr hunderttausende Besucherinnen und Besucher anzieht.
Die Balkonszene – vielfach zitiert, parodiert und neu interpretiert – hat sich als ikonischer Moment in das kollektive kulturelle Gedächtnis eingeschrieben. Immer wieder wurde sie auf Theaterbühnen inszeniert, in Filmen adaptiert und in Kunstwerken aufgegriffen.
Doch diese Szene bleibt nicht statisch: Sie verändert sich mit dem Blick der Zeit. Vorstellungen von Liebe, ästhetische Sehgewohnheiten und technische Möglichkeiten des Theaters prägen, wie die Szene gelesen und dargestellt wird.
Der Blick auf verschiedene Inszenierungen zeigt unterschiedliche Deutungen dieses berühmten Moments.






Wie der Balkon auf die Bühne kam: Die Entstehung eines ikonischen Moments
Die berühmte Szene der Liebeserklärung zwischen Julia und Romeo (2. Szene des 2. Aktes) ist auf der Bühne erst seit etwa 150 Jahren durch die Darstellung eines Balkons bekannt. Zuvor fanden Darstellungen der Szene in Illustrationen des Shakespeare’schen Dramentextes (ohne Bezug auf konkrete Inszenierungen) ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren ikonischen Ausdruck mit einem Balkon. Unter der Ortsangabe in der Originalvorlage - „Capulets Garten“ - steht Julia noch am Fenster, und Romeo muss eine hohe Gartenmauer des Familiensitzes überwinden, um sich ihr zu nähern. Doch der Text liefert keinen direkten Hinweis auf eine mögliche körperliche Annäherung der beiden Liebenden.
Im frühen 19. Jahrhunderts begann sich das Dekorationswesen von einer typisierten Dekoration (wie etwa Wald, Platz, Stadt oder Garten) zu lösen. Jetzt entwickelten sich individuellere Bühnenbilder, die an den verschiedenen neuen Schauplätzen der Stücke angepasst waren.
Der Schauplatz „Balkon im Garten“ in „Romeo und Julia“ bietet hierfür Möglichkeiten, da ein konkreter Handlungsrahmen es Romeo ermöglicht, alle Hindernisse zu überwinden. Julia dagegen öffnet nicht nur ihr Refugium, sondern tritt daraus hervor und lässt ihn ein. Erst damit kann sich die Balkonszene als zentrales, ikonisches Moment des Stücks etablieren.
Im Laufe der Zeit wurde der Balkon zunehmend zu einem dramatischen Element, das die scheinbare Unerreichbarkeit Julias, bedingt durch die verfeindeten Familien, betonte. Der Höhenunterschied zwischen unten und oben verstärkte auf der Bühne die dramatische Wirkung. Der Theaterherzog Georg II. von Meiningen stellte um 1900 fest, dass „der Balkon [...] gewöhnlich viel zu tief“ angebracht werde, um Julias Unerreichbarkeit glaubwürdig darzustellen. Das Bauelement wurde zum Bedeutungsträger.



Die Bühne (als Spiegel der Gesellschaft)
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in der romantischen Ära, löste der Schauspieler Edmund Kean (1787–1833) eine wahre Welle des Interesses an Shakespeare aus. Seine eindrucksvolle Darstellung der Shakespeare-Rollen hatte einen nachhaltigen Einfluss, der weit über seine Zeit hinaus reichte. So reiste der junge Coburger Bühnenmaler Max Brückner 1858 nach England – inzwischen spielte bereits Keans Sohn Charles (1811–1868) in dieser Shakespearetradition – um sich mit den dortigen Theatereinflüssen auseinanderzusetzen.
Im Jahr 1867 beeindruckte die von dieser Schule geprägte, opulente Bühnendekoration der Gebrüder Max (1836–1919) und Gotthold (1844–1892) Brückner das theaterbegeisterte Herz von Herzog Georg II. von Meiningen (1826–1914), was zu einer engen Zusammenarbeit führte. Als Gründungsmitglied der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft von 1864 brachte der Herzog die englische Theaterbewegung mit dem Ziel an das Hoftheater, dort eine Shakespeare-Bühne zu etablieren. Dies markierte einen Bruch mit der höfischen Oper und leitete die Schaffung eines festen Schauspielensembles und professioneller Bühnenarbeit ein. Die europaweiten Tourneen der Meininger zwischen 1874 und 1890, die der Erhaltung des Theaterbetriebs dienten, prägten den Geist einer ganzen Epoche.









Das Kostüm
Bis ins frühe 19. Jahrhundert spiegelten Theaterkostüme vor allem die zeitgenössische Mode wider – ergänzt durch symbolische Attribute, um Figuren und Rollen kenntlich zu machen. Historisch präzise Kostümentwürfe, die Mode und Ausstattung einer bestimmten Epoche nachempfinden, entstanden erst im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts. Parallel zur wachsenden Institutionalisierung des Theaters, entwickelte sich auch ein eigenständiges Kostümwesen.
Ein Meilenstein in dieser Entwicklung war das Theater der Meininger unter der Leitung von Herzog Georg II. Sachsen-Meiningen. Zwischen 1874 und 1890 verwirklichte er seinen Anspruch auf historisch korrekte Ausstattung mit größter Konsequenz. Der theaterbegeisterte Herzog entwarf Kostüme selbst – akribisch und detailgetreu gestützt auf seine historischen Studien.
Ältere Rollenbilder hingegen zeigen noch die vormals gültigen Konventionen: Kostüme, insbesondere für weibliche Figuren, waren oft das Ergebnis individueller Improvisation. Die Darstellenden trugen Kleidung ihrer Zeit, ergänzt um Accessoires, die ihre Bühnenfigur charakterisierten – prächtige Roben, Schmuck, Gürtel, Diademe oder Waffen gaben der Rolle Gestalt. So entstand mit Fantasie und persönlichem Engagement ein Bild, das den Charakter skizzierte, noch bevor die Figur sprach.












Frauen spielen Männer, Männer spielen Frauen – Geschlechterrollen im Wandel
Im England des 17. Jahrhunderts durften Frauen nicht auf die Bühne – weibliche Rollen wurden von jungen Männern (boy actors) gespielt. Erst ab 1660, nach dem Ende der puritanischen Theaterverbote, traten auch in Großbritannien Frauen öffentlich auf. Englische Wandertruppen wie George Jollys „Englische Komödianten“ hatten sich zuvor auf dem europäischen Festland etabliert, wo Frauen längst Teil des Theaterensembles waren.
Im 19. Jahrhundert begannen Schauspielerinnen wie Sarah Bernhardt auch männliche Rollen zu übernehmen – etwa Romeo. Auch Clara Ziegler, Gründerin des Deutschen Theatermuseums, spielte 1868 in Leipzig diese Rolle. In der Oper ist eine weibliche Besetzung oft musikalisch begründet – wenn Romeo für Mezzosopran komponiert ist.
Ob Romeo oder Julia von einer Frau oder einem Mann gespielt wird, hängt von vielen Faktoren ab: rechtlichen Vorgaben, gesellschaftliche Konventionen, Verfügbarkeiten oder Regiekonzepte. Cross-Gender Acting ist keine neue Erscheinung, sondern fester Bestandteil der Theatergeschichte.





